Im Sperrfeuer: Deutscher Buchpreis 2014

Von Anfang an stand die am britischen Man Booker Prize orientierte Auszeichnung in der Kritik. Die einen sahen ihn als unwürdiges Ranking oder reines Marketinginstrument, das – um den darbenden Buchhandel zu beglücken – einen zugänglichen, nicht all zu schwer verkäuflichen Roman prämieren sollte. Die anderen witterten die Gefahr, dass die aus 20 Titeln zusammengesetzte Longlist und die aus 6 Titeln bestehende Shortlist alle anderen, nicht nominierten Bücher an den Rand der medialen Wahrnehmung drängen würden.

Was seine Öffentlichkeitswahrnehmung angeht, hat der Deutsche Buchpreis eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Früher als erwartet fand er viel Aufmerksamkeit (auch im Ausland), und etliche der kurz vor der Frankfurter Buchmesse ausgezeichneten Romane wurden zu veritablen Bestsellern, wie Arno Geigers „Es geht uns gut“, Julia Francks „Die Mittagsfrau“, Uwe Tellkamps „Der Turm“ oder Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“. Entgegen mancher Befürchtung verschrieb sich der Preis nicht dem bloß Marktgängigen. Literarisch ambitionierte Titel von Katharina Hacker, Kathrin Schmidt oder zuletzt Terézia Mora fanden dank des Preises eine ungewöhnliche große Leserschaft.

Die im August bzw. September verkündete Long- und Shortlist wurde von Anfang an streng beäugt. Ja, es gehörte sofort zu den Ritualen des Feuilletons, die Auswahl der Jury zu kritisieren und auf sträflicherweise vernachlässigte Titel hinzuweisen. Im Jahr 2014 jedoch gerieten der Preis und seine von der FAZ-Kritikerin Wiebke Porombka angeführte Jury in ein wahres Sperrfeuer der Kritik und Häme. Die Bekanntgabe der Longlist führte zu wochenlangen Kommentierungen. Von „Witz“ und „Skandal“ war die Rede. Ein gutes Dutzend übersehener Romane (von Martin Mosebach, Michael Kleeberg, Bodo Kirchhoff, Nino Haratischwili oder Stephanie Bart) wurde aufgelistet. Man beklagte das Fehlen jüngerer Autoren, sah die Großverlage bevorteilt und forderte, wie Dana Buchzik in der „Welt“, allen Ernstes eine Frauenquote für Literaturpreise.

Vieles davon war nicht mehr als ein Sturm im Feuilletonwasserglas. Doch genau so wenig lässt sich leugnen, dass die Jury 2014 in mancher Hinsicht unglückselig entschieden und ein um Ausgewogenheit bemühtes Mittelmaß bevorzugt hat. Auch die am 10. September verkündete Shortlist (mit den favorisierten Thomas Hettche und Lutz Seiler) überraschte durch Kuriositäten wie die Aussparung von Saša Stanišić’ im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Romans „Vor dem Fest“. Richard Kämmerlings („Die Welt“), der wohl schärfste Kritiker der Jury 2014, sprach prompt ein klares Urteil aus: „Die Gegenwart muss leider draußen bleiben.“

Was immer man von einzelnen Entscheidung halten mag: der Deutsche Buchpreis steuert auf eine Krise zu. Die insgeheime (jedoch nirgendwo formulierte) Erwartung, dass er keinem zu komplexen, schlecht verkäuflichen Titel gelten dürfe, beschädigt eine unabhängige Jury, die sich um solche Kriterien nicht kümmern darf, wenn sie denn ernst genommen werden will. Der (was immer das sein mag) „beste“ Roman eines Jahres darf nicht experimenteller Literatur nicht ausgrenzen. Zudem scheint es an der Zeit, die Zusammensetzung der Jury zu überprüfen: Es ist nicht hilfreich, wie in diesem Jahr gleich zwei Buchhändler in die Jury aufzunehmen, und man wird nicht umhinkönnen, ab 2015 wieder auf Juroren zurückzugreifen, die schon einmal die harte Lesefron des Wettbewerbs auf sich genommen haben. Andernfalls wird der Deutsche Buchpreis sein erworbenes Renommee Schritt für Schritt verlieren – was für das Ansehen der deutschsprachigen Literatur mehr als bedauerlich wäre.

Rainer Moritz

Rainer Moritz, born 1958, German literary critic and writer. He is director of Literaturhaus Hamburg.

Rainer Moritz, geboren 1958, deutscher Literaturkritiker und Autor. Er ist Leiter des Literaturhauses Hamburg.

Rainer Moritz, born 1958, German literary critic and writer. He is director of Literaturhaus Hamburg.

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