Graphic novel – Literature?/ Literatur?

Auf den Vortrag von Christian Gasser bei den Europäischen Literaturtagen 2013 freute ich mich schon seit zwölf Stunden. Auf dem nächtlichen Weg von der Eröffnungsveranstaltung ins Hotel zog er ein unendlich süffisantes, charmantes Lächeln auf und bemerkte: „Seit es den Terminus Graphic Novel gibt, wird einer wie ich zu solchen Veranstaltungen eingeladen. In Frankreich ist der Fachterminus ,bande dessinée‘, gezeichnete Streifen, in Italien heißen sie ,fumetto‘, Wölkchen. Mit dem im Deutschen verwendeten Wort ,Comic‘ assoziiert man jedoch komisch, etwas nicht ernsthaftes“.

Und genau an dieser Stelle beginnt er nun mit seinem Vortrag: Graphic Novels haben einen relativ neuen Platz in den deutschen Feuilletons, Literaturhäusern, Verlagen, Buchhandlungen. Comics hingegen definiert Christian als Genreserien, wo der Name der Titelhelden wichtiger ist als der des Autors. Dennoch sieht er im Comic eine künstlerische Ausdrucksform, die alle Inhalte transportieren kann.

Will Eisner war schließlich derjenige, der den Begriff Graphic Novel erfand, um neue Leser anzusprechen. Für Graphic Novel gibt es jedoch keine verbindliche Defintion. Christian schlägt vor; „nicht serieller, sondern in sich abgeschlossener Comic mit einem gewissen ästhetischen und inhaltlichen Anspruch, der in der Regel nur von einer Person verfasst wurde.“ Und wieder lerne ich ein neues Wort: Autorencomic. Der Begriff Graphic Novel ist (und das wundert mich nicht) in der 13 Szene selbst umstritten, erwies sich aber als geniales Marketingtool. „Wäre ich heute eingeladen
worden, wenn ich nicht über Graphic Novels, sondern über Comic sprechen würde?“, fragt Christian Gasser vollkommen zurecht.

Definitionen hin oder her, der Comic leistet heute Dinge, die man ihm nie zugetraut hätte. Christian erzählt von der Entwicklung der Graphic Novels, und hier höre ich auf mitzuschreiben, da ich nämlich nur die Werktitel notiere und der Buchhändlerin meines Vertrauens ein E-Mail schreibe, sie möge mir die erwähnten Meilensteine bitte bestellen. Für Christian ist der Graphic Novel eine gehypte Modeerscheinung. Er weist nicht nur darauf hin, dass solche Buchhandelshypes sehr kurzlebig sind und sich wieder legen, sondern er kritisiert, man viel zu schonungslos mit diesem Genre um: „Ein Comic ist nicht automatisch gut, nur weil er länger als 48 Seiten ist, schwarz/weiß und ein ernsthaftes Thema hat.“ Verleger, Kritiker und Buchhändler, die neu im Metier sind, agieren zu kritiklos und bejubeln Sachen, die eigentlich keinen Jubel verdienen.

***

Auf Christian Gassers Rede über Graphic Novel und Comics (Europäische Literaturtage 2013) repetitierte Krisztina Tóth. Auf den vorangegangenen Vortrag von Steve Sam Sandberg hatte Michal Hvorecky geantwortet – einiges ergänzt, hervorgehoben, Steve Sem-Sandberg in eine Konversation involviert, was spannend war. Christina Tóth zeigt jedoch den Reiz dieser Doppel-Panel-Form, indem sie Christian Gasser ganz deutlich widerspricht.

„Graphic novel does not belong to contemporary literature.“ Sie sieht die Popularität der Graphic Novels als Folge der allgemeinen Panik am Buchmarkt und definiert Literatur als geschriebenen Text. „Graphic Novels are more ralative to works of applied arts than literature“. So fein es ist, dass Krisztina Tóth die Möglichkeiten der Panel-Situation (Rede-Widerrede) nutzt, mich macht es immer unglücklich, wenn Menschen mit Stacheldraht anrücken, um den Literaturbegriff hinter einem engen Sicherheitswall zu verbergen.

Christian selbst sieht Comics auch nicht als neues Genre der Literatur – der Text muss schließlich nicht literarisch sein („kein großer Zeichner oder Autor ist gefragt, sondern einer, der die Teile so kombiniert, dass die Kombination größer ist als die Teile“). Christian wie Christina liegen sicherlich richtig damit, dass Verlage zu kurz denken, wenn sie ständig Meisterwerke der Literatur als Graphic Novels adaptiert herausbringen. Doch mit Filmen ist das nicht anders – vielleicht wäre es fruchtbarer, den Graphic Novel und sein Verhältnis zur Literatur komparatistisch mit Film zu vergleichen?

In der Diskussion wird der marktwirtschaftliche Aspekt durchdiskutiert, und Christian weist abermals daraufhin, wie dümmlich sich einige Verlage in ihrer Hysterie anstellen. Bei den Graphic Novels gibt es genauso No-Seller wie Bestseller – nicht alles verkauft sich wie Asterix, was viele Verlage zurzeit noch glauben, aber schmerzlich werden lernen müssen.

Schließlich geht es in der Diskussion wieder um die Frage der Literatur und wo die Grenze der Literatur liegt. Rüdiger Wischenbart bringt einen Begriff hinein, der mir seit einer Stunde fehlt: Pop. Man darf einen Graphic Novel bitte nicht mit Robert Musil vergleichen, sondern mit Populärkultur, mit Pop-Literatur. Pop bedeutet zitieren, Pop bedeutet ein Weg von U und E, eine gewisse Befreiung, kein ständiges Nachdenken über Grenzziehung anstelle von einem Grenzen-Niederreißen. Irgendwann in der Diskussion wird mir unheimlich und ich muss mir das Mikrophon schnappen. Ich bin wahrscheinlich die jüngste im Raum und frage mich, ob mein Unwohlgefühl aus Generationenfrage resultiert. Harry Potter war eine meiner prägendsten Lektüren: ich hatte keine Angst, den Mann ohne Eigenschaften zu lesen, weil ich seit meinem elften Lebensjahr diese dicken Wälzer verschlungen habe, und gleichzeitig mag ich es genauso, zwischen Musil und Doderer auch mal ein Vampirbuch zu lesen. Ich glaube, meine Generation kann mit dieser Frage „ist das Literatur oder muss das weg“ nichts anfangen.

Vea Kaiser

Vea Kaiser, born 1988, Austrian novelist.

Vea Kaiser, geboren 1988, österreichische Schriftstellerin.

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