Stand with Ukraine

In den beinahe fünfzehn Jahren, da die Europäischen Literaturtage nun schon stattfinden, erzählten mir viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller von ihren Erfahrungen mit Despotismus, Zerstörung, Gewalt und dem entsetzlichen Leid, das sie im Krieg erfahren mussten. Sie kamen aus dem Irak, aus Syrien, aus Afghanistan, aus Zimbabwe oder dem ehemaligen Jugoslawien. Was sie erzählten und erzählen, macht mich immer wieder fassungslos. Manches wird Teil ihrer Literatur, manches auch nicht. Ich bin überzeugt, dass in allem, was ich als Hommes de Lettre mache, meine Stimme für den Frieden mitschwingen muss. Die Europäischen Literaturtage sind von dieser Überzeugung getragen. Der Krieg ist die entsetzlichste Fortsetzung patriarchaler Politik, und ich halte es für keinen Zufall, dass einmal mehr ein weißer alter Mann Unglück über die Erde bringt (wohl aus Angst vor dem Gulag, in dem er selbst so viele Menschen im Lauf seiner Regimes zugrunde gerichtet hat).

Bis vor wenigen Wochen war ich voll ungetrübter Freude über die Zusagen von Natalka Sniadanko aus der Ukraine und Vladimir Sorokin aus Russland zu den Europäischen Literaturtagen im November. Unfassbar, was seitdem geschehen ist. Wie völlig unvorhergesehen der Krieg über die Ukraine kam, beschreibt Andrej Kurkow in der New York Times (ein lieber Freund und ehemaliger Gast der Europäischen Literaturtage). Juri Andruchowytsch, auch er ein Schriftsteller aus der Ukraine, hat 2011 in seiner Eröffnungsrede der Europäischen Literaturtage darauf hingewiesen, wie so gar nichts der Westen Europas von Südosteuropa verstehe. Wie recht er hatte, und wie vehement das damals von anderen – sei es aus Paris oder Berlin - verneint wurde! Der Spalt zwischen dem Westen und Osten Europas war in den letzten Jahren größer geworden. Heute scheint zwar die europäische Union unter dem Eindruck der Bedrohung einig wie nie zuvor. Doch die mir aus meiner Kindheit und Jugend bekannte Angst vor dem atomaren Weltkrieg ist plötzlich zurück. Aber nach dem Krieg, frage ich mich bange? Wird danach die Ukraine auf der Landkarte wie auch in unseren Köpfen Teil Europas sein?

Wunderbare SchriftstellerInnen und Schriftsteller müssen nun um ihr Leben fürchten, aber lassen sich nicht davon abbringen, ihre Stimme kraftvoll gegen den Krieg zu erheben: Vladimir Sorokin etwa sagte gerade in der Süddeutschen Zeitung Putins Regime das nahende Ende voraus. Was ich hier am sicheren Ort tun kann, ist Europa immer wieder als das Friedensprojekt sichtbar zu machen, das es auch ist – mit Hilfe all der internationalen Literatinnen und Literaten, die in unseren Veranstaltungen Gäste waren und sind. In diesen Tagen erschien eine Studie, die zeigt, dass sich das Zeitfenster des Klimawandels zu schließen beginnt. Das Thema der Europäischen Literaturtage, „Komik des Untergangs“, ist auf dramatische Weise aktuell und unaktuell zugleich. Eine Stimme gegen den Krieg ist immer eine Stimme für die Hoffnung. Ich hoffe, dass der Krieg bald ein Ende nimmt. Und ich hoffe, euch im November sehen zu können, Natalka Sniadanko aus der Ukraine und Vladimir Sorokin aus Russland. Aus ganzem Herzen wünsche ich euch, dass der Schrecken ein Ende nimmt, Juri Andruchowytsch und Andrej Kurkow und all die anderen. Manchmal ist das Entsetzen größer, als alle Worte es sein können.

Walter Grond
Künstlerischer Leiter der Europäischen Literaturtage

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